Frau Bös steht am Limmatquai neben dem Hafenkran. Aus Rostock, schon ziemlich baufällig und 60'000 Franken teuer. Er ist DAS Hassobjekt der Zürcher zur Zeit, denn lange hat sich die Stadt über dieses sogenannte Kunstobjekt gestritten, jetzt wurde es unter viel Kritik doch noch aufgestellt. Der Hafenkran ist das neue Feindbild all jener, die zu wissen glauben, was schön und was hässlich ist, was Kunst und was nicht, und wie man Geld besser investieren könnte. Was auch gerade Schlimmes und Schlechtes in der Limmatstadt passiert: der Hafenkran aus Deutschland ist sicher schuld daran.
Frau Bös sieht mit einer Mischung aus Besorgnis und Häme hinauf zum Arm des grünen Ungetüms, aber nicht, weil das rostige Ding so umstritten ist, sondern weil dort oben Frau Bitter sitzt. Diese bläst gerade eine Schwimmhilfe in der Form eines Flugzeugs auf.
"Ok, Monika", ruft ihr Frau Bös von weit unten her zu, die Hände vor ihren Lippen zu einem Trichter geformt, "du willst das also wirklich durchziehen, ja? Findest du das nicht ein bisschen übertrieben?"
Frau Bitter schüttelt energisch den Kopf, ihr brauner Pferdeschwanz tanzt im Wind. "Auf gar keinen Fall! Wenn man etwas verändern will, dann muss man auch mal was wagen! Ich habe beschlossen, nicht nur immer hintenrum zu motzen, wenn mich was stört, sondern ganz vorne mitzukämpfen!!" Sie pustet noch dreimal in das Ventil des Gummifliegers, schliesst es dann und klemmt sich den Flieger so gut es geht zwischen die Beine, die links und rechts vom rostigen Hafenkran-Arm baumeln. Dann klaubt sie aus ihrer Umhängetasche eine zusammengerollte Flagge mit dem Logo der JUSO.
"Also, du bist GEGEN den Hafenkran, GEGEN die neuen Gripen-Kampfjets und FÜR den Mindestlohn?", Frau Bös verschränkt ihre Arme vor der Brust und schaut stirnrunzelnd zu ihrer Freundin hinauf.
"Ganz genau!"
"Für das gibt es diese Formulare, auf denen man das gewünschte Kästchen ankreuzt, und sie dann in ein Couvert steckt und in den Briefkasten wirft. Ganz einfach. Das nennt man Demokratie. Kännsch?"
Frau Bitter rutscht langsam und vorsichtig auf dem eisernen Gestänge nach vorne, immer weiter über die Limmat. Dafür hat sie sich einen Flügel des Gummifliegers zwischen die Zähne gesteckt, die Flagge baumelt von ihrem Handgelenk, während sie sich krampfhaft am Metall zwischen ihren Beinen festklammert. "As aich nich!! Aschtingen kun och ae, aer ang usch at on ain... " Frau Bös unterbricht sie: "Ich verstehe kein Wort, Monika! Nimm den scheiss Gripen aus dem Mund!"
Frau Bitter klemmt sich das Flugzeug unter den linken Arm. "Ich habe gesagt: Das reicht nicht! Abstimmen tun doch alle, aber man muss halt schon auch mal ein bisschen mehr Mumm und Fantasie zeigen, wenn man eine Meinung hat und diese kundgeben will! Das ist WAHRE Demokratie!" Sie versucht, die Mindestlohn-Flagge am Ende des Krans festzumachen, ohne dabei den aufblasbaren Gripen unter ihrem Arm zu verlieren. "Das kann doch wohl nicht sein: über eine halbe Million Franken für einen alten, verlotterten Hafenkran, den in Deutschland niemand mehr will und der in Zürich nichts anderes tut als das Limmatquai verschandeln! Und 10 Milliarden Franken für 22 schwedische Kampfjets, die sonst auch keiner will und mit denen wir eh immer noch keine Armee der Welt schlagen könnten! Und das Ganze sollen wir mit unseren Steuern bezahlen, ohne anständig zu verdienen?? Das finde ich eine Sauerei! Deshalb sage ich: ich scheisse auf diesen Hafenkran (sie rutscht unanständig mit ihrem Gesäss auf dem Gestänge auf und ab), ich versenke den verdammten Gripen (sie schmeisst den Gummiflieger schwungvoll hinunter ins Wasser) und bestehe auf einen Mindestlohn (sie beugt sich hinunter und lockert den Knoten an der Flagge, diese rollt sich auf und ein grosses, rotes JA ZUM MINDESTLOHN wird sichtbar)!" Allerdings verliert Frau Bitter vor lauter Rumfingern an der Flagge ihr Gleichgewicht, rudert heftig, aber vergeblich mit den Armen und kippt dann schreiend vom Hafenkran. Sie platscht mit dem Gesäss voran in die eisig kalte Limmat, und taucht ein paar Sekunden später wieder auf, eifrig nach Luft schnappend, und in Panik mit allen Vieren rudernd, der Pferdeschwanz klebt ihr über den Augen. Sie ist keine gute Schwimmerin.
Frau Bös weiss das und rennt erschrocken zwischen die Beine des Hafenkrans, ihre Stimme ist schriller den je: "Der Gripen, Monika, der Gripen!!!" Sie zeigt aufgeregt auf den aufblasbaren Flieger, der nur ein paar Meter vor ihrer Freundin in der Limmat treibt. Frau Bitter paddelt auf ihn zu, greift ihn sich und zieht sich bäuchlings auf den Gummi-Gripen hinauf. Wie ein Frosch stemmt sie sich mit den Hinterbeinen durch die Fluten, in Richtung rettendes Limmatquai. Frau Bös folgt ihr stromabwärts bis zu einer kleinen Plattform, die über das Wasser ragt. Dort kniet sie sich hin, und reicht Frau Bitter die Hand, die sich erleichtert aufstöhnend daran festklammert.
"Deine Auffassung von Demokratie ist ziemlich anstrengend und gefährlich", ächzt Frau Bös, als sie ihre Freundin mit viel Mühe an Land hievt. "Und ausserdem war deine Aktion ziemlich für die Katz. Denn wenn ich das richtig sehe, wurde dir dein geliebter Mindestlohn da oben zum Verhängnis, aber der verhasste Gripen-Jet hat dir das Leben gerettet!"
Frau Bitter liegt erschöpft auf dem Boden, immer noch bäuchlings, patschnass und zitternd vor Kälte, mit ihrem linken Arm umklammert sie immer noch den aufblasbaren Flieger. "Der Hafenkran", stösst sie mühsam hervor, sie hat kaum mehr Kraft zu sprechen, "der Hafenkran ist an allem schuld!"